Für die Amerikaner - und in der Tat für einen Großteil des Westens - sind die Tage, in denen die Zinssätze fast bei Null lagen, nur noch eine ferne Erinnerung. Die Zeit nach der Pandemie führte zu überstürzten Zinsanhebungen durch viele Notenbanken auf der ganzen Welt, und wir befinden uns nun seit zwei Jahren in einer soliden Phase jenseits der Marke von 5 %. Entgegen der gängigen Lehrmeinung haben die beiden wichtigen US-Indizes S&P 500 und Nasdaq 100 ungeachtet des Hochzinsumfelds seit Juni 2022 fast 50 % zulegen können. Die Inflation wurde weitgehend unter Kontrolle gebracht, und auch der Arbeitsmarkt hielt den höheren Finanzierungskosten erstaunlich gut stand.
Nun aber ändern sich die Dinge, und die lang erwartete Zinssenkung scheint endlich in greifbare Nähe gerückt zu sein. In der Tat vermuten viele, dass Powell die Zinsen bereits Anfang des Monats gesenkt hätte, wenn er gewusst hätte, wie die beiden wichtigsten makroökonomischen Berichte, der Verbraucherpreisindex und die Beschäftigtenzahlen außerhalb der Landwirtschaft, ausfallen würden. Was aber hat die US-Notenbank veranlasst, endlich zu einer günstigeren Geldpolitik überzugehen? Und wie wird sich das voraussichtlich auf die Aktien in den USA und anderen Ländern auswirken? Die Antworten auf diese und weitere Fragen finden Sie in diesem Artikel.
Abgewartet und geschaut
Die Fed hat im vergangenen Jahr und darüber hinaus erklärt, dass sie die allgemeinen makroökonomischen Indikatoren -, insbesondere die Inflation und den Arbeitsmarkt -, abwarten und erst dann Zinssenkungen in Betracht ziehen wird. Nun hat die US-Regulierungsbehörde offenbar genug gesehen. Ein erstes Anzeichen dafür waren die in der vergangenen Woche veröffentlichten Daten zu den Beschäftigtenzahlen außerhalb der Landwirtschaft, aus denen hervorging, dass im Juli nur 114.000 Arbeitsplätze geschaffen wurden, während die Arbeitslosenrate von 4,1 % im Juni auf 4,3 % anstieg. Der schwächer als erwartet ausgefallene Beschäftigungsbericht führte zu einem starken Ausverkauf an der Wall Street, wobei der S&P 500 und der Nasdaq 100 zwischen dem 31. Juli und dem 4. August durchschnittlich 8 % verloren, die sie jedoch aufgrund der Erwartung einer bevorstehenden Zinssenkung größtenteils wieder aufgeholt haben.
Den Ausschlag könnte der Bericht über den Verbraucherpreisindex vom 14. August gegeben haben, aus dem hervorging, dass die Inflation im Jahresvergleich auf 2,9 % gesunken war. Dies war das erste Mal seit 2021, dass der Indikator unter 3 % fiel. Wie Scott Anderson von BMO Capital feststellte, "zeigt dieser Bericht weitere Fortschritte in Richtung der Inflationsziele der Fed". Und obwohl er zustimmt, dass "nichts darin die Fed davon abhalten würde, die Zinsen im September zu senken", ist er der Meinung, dass "die Hoffnungen des Marktes auf eine stärkere Senkung immer noch weit hergeholt sind". Aus diesem Grund sollten wir eher mit einer Senkung um 0,25 % als mit einer Senkung um 0,50 % rechnen, aber dies ist dennoch ein Schritt in die richtige Richtung.
Unterstützung für Aktien?
Zumindest auf den ersten Blick sieht es so aus, als hätten der positive VPI-Bericht und die nicht ganz so beeindruckenden Arbeitsmarktzahlen die Märkte davon überzeugt, dass eine Zinssenkung im Grunde eine ausgemachte Sache ist. Bis heute haben die beiden großen Indizes viermal in Folge zulegen können, was für den Nasdaq und den S&P 500 den besten Zeitraum von fünf Tagen seit November 2023 darstellt. Die Leitindizes haben in den letzten fünf Handelstagen um 5,09 % bzw. 3,86 % zugelegt und damit praktisch ihre gesamten Verluste von Anfang August wieder wettgemacht. Die neuen Kursgewinne sind zumindest teilweise auf die Einpreisung der bevorstehenden Zinssenkung der Fed im September zurückzuführen.
Die Frage ist nun, wie weit der Markt eine Senkung vorweggenommen hat und um wie viele Basispunkte Powell tatsächlich senken wird. Sollte der FOMC auf seiner Sitzung im September eine Senkung um 50 Basispunkte ankündigen, könnte dies die Aktienkurse nach oben treiben, aber nicht, wenn die Märkte ohnehin damit gerechnet haben. Bei einer Senkung um nur 25 Basispunkte könnte es sogar zu einem Ausverkauf an den Märkten kommen. Händler von Anleihen geben derzeit eine Wahrscheinlichkeit von 47 % an, dass der Leitzins bis zur Sitzung am 18. Dezember auf eine Zielspanne von 4,50 % bis 4,75 % sinken wird, was drei Senkungen um 0,25 % gegenüber dem derzeitigen Niveau bedeuten würde. Zu Beginn des Jahres war man jedoch davon ausgegangen, dass es bis Ende 2024 "vier oder fünf" Zinssenkungen geben würde. Da dies nun so gut wie unmöglich ist, ist die Tatsache, dass der Markt nicht wesentlich korrigiert hat, ein gutes Zeichen für einen gesunden "Sportsgeist" an der Wall Street.
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