Anleger könnten den Eindruck gewinnen, dass Edelmetalle seit etwa einem Jahr nicht mehr gehandelt werden, da die Preise mehr oder weniger auf dem gleichen Niveau wie vor der COVID-Pandemie liegen. Viele vergessen jedoch, dass die letzten 12 Monate auch durch eine historische Stärke des US-Dollars gekennzeichnet waren. Selbst wenn man von den Höchstständen im Hochsommer absieht, als der US-Dollar gegenüber dem Euro eine Zeit lang deutlich über der Parität lag, liegt der Wert des US-Dollar in Euro immer noch fast 15 % über dem Wert vor der Pandemie. Tatsächlich hat Gold also in dieser turbulenten Zeit nicht nur seinen Wert gehalten, sondern in der "realen Welt" sogar zweistellige Wertsteigerungen verzeichnet.
Seit dem dritten Quartal 2022 sind die Preise für Gold und Silber praktisch explodiert und haben innerhalb weniger Monate um 10-15 % zugelegt. Das hört sich vielleicht nicht nach viel an, aber für Edelmetallverhältnisse ist das ein ziemlich ausgeprägter Trend. Ist dies ein Anzeichen für einen beginnenden Bullenzyklus, und was sind die treibenden Kräfte hinter dieser starken Bewegung in einer sonst eher konservativen Anlageklasse? Dieser Artikel wird hoffentlich diese und weitere Fragen beantworten und die langfristigen Aussichten für Gold und Silber bis 2024 und darüber hinaus beleuchten.
Standpunkt 1: Dollarschwäche beflügelt die Edelmetalle
Wie bereits erwähnt, erlebte der US-Dollar im Jahr 2022 eines seiner stärksten Jahre seit über zwei Jahrzehnten. Wie jeder Anleger weiß, muss das, was schnell steigt, ebenso schnell wieder fallen - und genau das erleben wir jetzt beim US-Dollar. Von seinem Höchststand von 1,04 Ende September letzten Jahres ist der Wechselkurs von USD/EUR inzwischen um mehr als 10 % auf 0,93 gefallen. Die Folge davon ist, dass die "realen" Preisanstiege des Goldes, die zuvor nur im Vergleich zum Euro sichtbar waren, nun auch auf Dollarbasis sichtbar geworden sind.
Hinzu kommt ein gewisser natürlicher Anstieg der Edelmetallnachfrage aufgrund der anhaltenden geopolitischen Instabilität und der über dem Zielwert liegenden Inflation, so dass die scheinbar rasche Wertsteigerung von Gold und Silber einen logischen Sinn ergibt. Angesichts gesunkener 10-jähriger US-Staatsanleihen mit Renditen von 3,61 % schwindet die Risikofreude, so dass wir zuversichtlich sind, dass das gelbe Edelmetall sich weiter in Richtung 1.880,00 US-Dollar bewegen wird. Darüber hinaus wird erwartet, dass die US-Notenbank ihren Straffungszyklus bis zum Jahresende abgeschlossen haben wird. Da die nächsten Zinsanhebungen bereits weitgehend eingepreist sind, ist der Weg frei für einen weiteren Anstieg des Goldpreises ohne den Gegenwind eines starken US-Dollar.
Standpunkt 2: Alles dreht sich um die Inflation
Nach zwei wahrhaft qualvollen Jahren für die Weltwirtschaft könnte man meinen, dass das Schlimmste nun hinter uns liegt. Das mag stimmen, aber wir sind noch lange nicht über den Berg. Die geopolitische Unsicherheit in Europa und im pazifischen Raum sowie die anhaltende Inflationsgefahr bedeuten, dass risikoarme Anlagen wie Gold und Silber für diversifizierungswillige Anleger jeder Couleur attraktiv bleiben. Zwar wird erwartet, dass die Federal Reserve und die anderen großen Notenbanken der Welt ihre endgültigen Zinssätze mit zusätzlichen Anhebungen von insgesamt unter 100 Basispunkten erreichen werden, doch ist dies keineswegs in Stein gemeißelt.
Sollte die Inflation nicht unter 4 % sinken, werden die Regulierungsbehörden weltweit gezwungen sein, die Geldpolitik weiter zu straffen, was die Nachfrage nach Edelmetallen weiter erhöhen wird. Die kanadische Bank CIBC geht davon aus, dass die Gold- und Silberpreise im Jahr 2023 im Durchschnitt bei etwa 1.800 US-Dollar bzw. 23,50 US-Dollar pro Unze liegen werden, was etwa 5 % unterhalb der aktuellen Preise wäre. Unterdessen wurden die April-Goldfutures am Ende der letzten Woche (10/02) bei etwa 1.887,30 US-Dollar pro Unze gehandelt, während die März-Silberfutures bei 22,35 US-Dollar lagen. Aber auch hier gilt, dass diese Preise lediglich 1-2 zusätzliche Zinsanhebungen im Jahr 2023 vorsehen. Sollten wir weitere sehen, sind alle Prognosen hinfällig.
Standpunkt 3: Wie sieht es mit Aktien aus?
Neben den börsengehandelten Metall-ETFs können Anleger auch durch den Kauf von Aktien von Bergbauunternehmen in Gold, Silber und andere Edelmetalle investieren. Natürlich ist dies keine Strategie für jedermann, aber die höhere Volatilität der Aktien von Bergbau- und Rohstoffunternehmen kann zu besseren Gewinnen führen und bietet gleichzeitig ein höheres Maß an Diversifizierung über sämtliche Rohstoffe hinweg, mit denen das betreffende Unternehmen handelt. Ein weiterer unbestreitbarer Vorteil solcher Aktien ist, dass sie in der Regel von recht soliden Dividenden profitieren. Vale, Barrick und Rio Tinto sind allesamt stabile und gut etablierte Unternehmen im Edelmetallsektor, die trotz der durchschnittlichen Kursgewinne, die in den letzten sechs Monaten deutlich über denen von Gold und Silber lagen, nach wie vor sehr attraktiv bewertet sind. Der Aktienkurs von Barrick ist um über 20 % gestiegen, während jener von Vale im gleichen Zeitraum rund 30 % zugelegt hat. Branchenführer ist jedoch Rio Tinto, dessen Aktienkurs seit September um fast 50 % gestiegen ist.
Gleichzeitig bieten diese Bergbaugiganten sehr großzügige Dividenden von 2,93 %, 8,86 % bzw. 7,84 %. Trotz dieser überdurchschnittlichen Kursgewinne und der relativ hohen Dividendenrendite wird Vale von der Mehrheit der Wall Street-Analysten nach wie vor als "Buy" eingestuft, wobei das durchschnittliche Kursziel von 18,64 ein Kurspotenzial von 10 % darstellt. Sollte die Inflation jedoch hoch bleiben und die Risikobereitschaft der Anleger wieder sinken, könnten wir sogar noch höhere Renditen sehen.
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